Warum gibt es so viele deutschsprachige Bibelübersetzungen?

Nahezu unüberschaubar ist die Vielfalt an Bibelübersetzungen in deutscher Sprache. Was unterscheidet die Bibelübersetzungen voneinander und was zeichnet sie jeweils aus?

Regal der historischen Bibel-Bibliothek des Bibelzentrums mit zahlreichen deutschsprachigen Bibelübersetzungen.

In der Bibliothek des Bibelzentrums finden sich zahlreiche aktuelle und historische deutschsprachige Bibelübersetzungen.

Welche Bibelübersetzung ist die beste, welche die richtige? Diese Frage ist letztlich falsch gestellt. Schließlich geht es eher darum, welche Übersetzung für den jeweiligen Zweck die richtige ist – für einen feierlichen Gottesdienst wird man eine andere Übersetzung wählen als für eine Erstbegegnung mit der Bibel durch Interessierte oder für eine Person mit nicht-deutscher Muttersprache.

  

Verschiedene Arten von Bibelübersetzungen

Am deutlichsten unterscheiden sich moderne deutsche Bibelübersetzungen darin, wie sie mit der Balance zwischen dem biblischen Text – in hebräischer und griechischer Sprache verfasst – und seinen modernen Lesern im 21. Jahrhundert umgehen. Wie wörtlich muss, wie verständlich darf übersetzt werden?

F.D.E. Schleiermacher bemerkte, dass es zwei Arten von Bibelübersetzungen gebe, solche, die den Text zu seinen Lesern hinbewegen und solche, die es nötig machen, dass die Leser sich zum Text bewegen. Erich Zenger sprach von „den beiden Wegen“, dem „Weg der Verfremdung“, indem eine Übersetzung mit der „fremden Sprache und Bildwelt der Bibel konfrontiert und uns auf diese Weise zu faszinieren versucht“, oder aber dem „Weg der Heimholung“ der Welt der Bibel in unsere Alltagswelt, indem sie „die in der Bibel zur Sprache kommende Botschaft so mit Worten unserer Lebenswirklichkeit wiedergibt, dass wir uns unmittelbar angesprochen fühlen“. Jede Übersetzung ist zugleich eine Interpretation der biblischen Botschaft. Ja, H.G. Gadamer konnte treffend formulieren, dass „Übersetzung die Vollendung der Auslegung“ sei.

  

Unterschiedliche Textbasis

Bibelübersetzungen können sich auch hinsichtlich der Textbasis, aus der übersetzt wird, unterscheiden. In der Regel wird aus dem sorgfältig wissenschaftlich erarbeiteten hebräischen Urtext für das Alte Testament und dem griechischen Urtext für das Neue Testament übersetzt. Manche Übersetzungen des Neuen Testaments bevorzugen jedoch den sogenannten „textus receptus“, eine griechische Textfassung aus dem Jahr 1550, die moderne Papyrusfunde unberücksichtigt lässt.

Für die Übersetzung des Alten Testaments ist dessen griechische Fassung, die Septuaginta, eine mögliche Textbasis, beispielsweise für die orthodoxen Kirchen. In vergangenen Jahrhunderten war das Lateinische Grundlage für katholische Übersetzungen oder in der Missionsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts zuweilen die englische King James Bible aus dem Jahre 1611.

  

Verschiedene theologische Anliegen

Eine Bibelübersetzung kann darüber hinaus auch von theologischen Anliegen geprägt sein. Welche Kirche, welche Personen stehen hinter der Übersetzung? Korrekt übersetzen sowohl die Lutherbibel 2017 als auch die revidierte Einheitsübersetzung, aber jeweils spiegelt sich konfessionelle Theologie, wenn im Neuen Testament in der Lutherbibel von „Gemeinde“ und in der Einheitsübersetzung von „Kirche“ zu lesen ist. In ganz besonderer Weise verfolgt die nicht unumstrittene „Bibel in gerechter Sprache“ theologische Anliegen, indem sie geschlechtergerecht, dem Judentum gegenüber gerecht und sozialgeschichtlich korrekt übersetzen will.

Dr. Jutta Henner

Direktorin der Österreichischen Bibelgesellschaft

Portrait Jutta Henner